Warum ist Afrika wichtig und warum sollte die EU in die Partnerschaft EU-Afrika investieren?
29/10/2020 – Video-Blog HR/VP – Wir müssen unsere Partnerschaft stärken, weil unsere politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zukunft auf dem Spiel steht, wenn es um unsere Beziehungen zu Afrika geht, einem jungen und dynamischen Kontinent. Die EU ist nach wie vor in vielen Bereichen der wichtigste Partner Afrikas, aber wir stehen immer mehr Konkurrenz gegenüber.
Die Beziehungen der EU zu Afrika gehören zu den wichtigsten Prioritäten der neuen Kommission, die Anfang dieses Jahres die Grundlage für eine neue Strategie für Afrika geschaffen hat. In seinem ersten Video-Blog („Vlog“) erläutert der Hohe Vertreter/Vizepräsident Josep Borrell diesen Ansatz und stellt Überlegungen über die Beziehungen zwischen der EU und Afrika vor dem Hintergrund der jüngsten Beratungen des Europäischen Rates zu diesem Thema an.
Der Vlog konzentriert sich auf fünf Schlüsselthemen: 1) Die Partnerschaft EU-Afrika und warum sie wichtig ist, 2) die Auswirkungen des Coronavirus und die Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, 3) die praktische Gestaltung der Partnerschaft, 4) die Beziehungen im Hinblick auf Migration, 5) die Auswirkungen des Grünen Deals der EU auf die Beziehungen zwischen der EU und Afrika.
Bei der Beantwortung dieser Fragen betont der Hohe Vertreter/Vizepräsident Borrell, dass die EU zwar ehrgeizig, aber realistisch sein muss, sich über ihre Interessen im Klaren sein sollte und dass es von entscheidender Bedeutung ist, konkrete und sichtbare Ergebnisse zu erzielen.
Zusätzlich zu seinen schriftlichen Blog-Beiträgen wird der Hohe Vertreter/Vizepräsident in seinem persönlichen Blog „A Window on the World“ ab sofort regelmäßig zu relevanten außenpolitischen Themen der EU Stellung nehmen.
Vollständiger Transkript des Videos:
HR/VP Vlog zur Partnerschaft zwischen Europa und Afrika
In der vergangenen Woche beriet der Rat der Europäischen Union über Afrika – über die Partnerschaft der Europäischen Union mit Afrika. Ich konnte nicht teilnehmen, weil ich Covid-bedingt in Quarantäne war. Aber ich habe diese Diskussion verfolgt, und in den kommenden Wochen müssen wir weiterhin auf Afrika zugehen, um das Gipfeltreffen zwischen den Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union und der Europäischen Union vorzubereiten. Wir werden also in den nächsten Tagen viel über Afrika sprechen. Lassen Sie uns anfangen.
Frage: Warum ist Afrika wichtig und warum sollte die EU verstärkt in die Beziehungen in die Partnerschaft zwischen der EU und Afrika investieren?
Afrika ist aus einem wesentlichen Grund von großer Bedeutung: Wenn es um Afrika geht, stehen unsere politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen auf dem Spiel. Instabilität in Libyen, in der Sahelzone oder in Somalia beeinträchtigt unsere Sicherheit. Aus demografischer und wirtschaftlicher Sicht wird Afrika unsere Zukunft bestimmen - zum Gutem oder zum Schlechten.
Wir sind zwar in vielen Bereichen immer noch der erste Partner Afrikas, aber wir stehen immer mehr Konkurrenz gegenüber. Afrika ist zu einem Raum geopolitischen Wettbewerbs geworden – ein Wettbewerb um Ressourcen, die reichlich vorhanden sind, und um Einfluss. Drittstaaten sind dort aktiv, und sie handeln gegen uns, gegen unseren Einfluss und unsere Fähigkeit, Partner des afrikanischen Volkes zu werden. Die Pandemie hat dramatische Auswirkungen und der Bedarf im Kampf dagegen wird so groß sein, dass unsere afrikanischen Partner verständlicherweise nach schnellen Lösungen suchen werden: Sie werden sich dabei an Partner wenden, die schnelle, einfache und an wenig Bedingungen geknüpfte Unterstützung bieten. Und wir müssen etwas Gutes im Angebot haben, wenn wir da Schritt halten wollen.
Frage: Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie in Afrika ein? Und wie sollte Europa mit Afrika zusammenarbeiten, um die Folgen zu bewältigen?
Wir hatten große Angst davor, dass das Virus Afrika erreicht, aber ich muss sagen, dass Afrika nach den vorliegenden Informationen aus gesundheitlicher Sicht anscheinend mit dieser Krise viel besser umgeht als erwartet. Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden jedoch schwerwiegend sein. Alle Einkommensquellen werden schrumpfen. Dies wird zu politischen Spannungen und sozialer Ungleichheit führen. Deshalb müssen wir bereit sein, Afrika zu unterstützen, denn dadurch unterstützen wir uns selbst. Als ich das letzte Mal in Addis Abeba war, sagten mir die afrikanischen Staats- und Regierungschefs: „Sie kamen zu Beginn der Amtszeit der neuen Kommission hierher und sagten, dass Sie der beste Partner Afrikas sein werden. Nun ist das Virus gekommen, und das ist eine große Chance für Sie, wirklich zu beweisen, dass Sie der beste Partner Afrikas sind.“
Frage: Wie gestalten wir diese strategische Partnerschaft in der Praxis?
Ich denke, dass wir so ehrgeizig wie realistisch sein müssen. Wir können nicht überall alles tun. Wir müssen uns auf Bereiche konzentrieren, in denen wir einen Mehrwert haben. Im Bereich der erneuerbaren Energien beispielsweise verfügen wir über das Fachwissen, die Technologie und die Finanzierungskapazitäten. In diesem Bereich sind wir, oder gehören zur, Weltspitze. Und Afrika verfügt über ein ungeheures Potenzial. Wir sollten also unsere Kräfte bündeln und dafür sorgen, dass Europa in diesem Bereich zum „Partner erster Wahl“ wird. Es kommt auch entscheidend darauf an, dass wir Europäer in unseren Beziehungen zu Afrika mehr Geschlossenheit an den Tag legen. Es gibt einerseits die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und andererseits die Institutionen der Europäischen Union und die müssen zusammenarbeiten. Das nennen wir „Team Europa“. Wir sind ein Team, und wir haben bei unserer Reaktion auf die Pandemie und bei unseren Unterstützungsmaßnahmen auch als Team gehandelt. Diese Idee der Zusammenarbeit muss weiterentwickelt werden. Sie sollte nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Nicht zuletzt glaube ich, dass wir konkreter und sichtbarer agieren müssen. Neben geflügelten Sätzen wie „Wir sind der größte und beste Partner“ müssen wir konkrete Schritte unternehmen, damit die Menschen sehen können, dass wir wirklich ein guter Partner sind. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: unsere Unterstützung für einen afrikanischen Kandidaten für die Leitung der WTO. Ich denke, dass die Europäer hinter diesem Kandidaten stehen sollten. Sie sollten auch zum Beispiel auf einen Schuldenerlass drängen, nicht nur auf Zahlungsaufschub, sondern auf eine echte Umschuldung und Schuldenerleichterung.
Frage: Wie schätzen Sie die Beziehungen zwischen Afrika und Europa im Bereich Migration ein?
Wissen Sie, die Menschen in Europa betrachten Afrika aus Blickwinkel der Migration. Für viele Menschen in Europa ist Afrika ein Herkunftskontinent von Migranten. Sie sehen fast jeden Tag auf ihren Fernsehbildschirmen wie Menschen versuchen, das Mittelmeer zu überqueren und die Küste Europas zu erreichen - und wie einige dabei ums Leben kommen. Wie Sie aber auch wissen, erfolgt die Migration aus Afrika zu 90 % auf legalem Weg. Zwischen Europa und Afrika besteht ein großes demografisches Ungleichgewicht. Und dieses Ungleichgewicht wird weiter zunehmen. Europa hat eine alternde Bevölkerung, Afrika eine sehr junge. Wir müssen dieses Ungleichgewicht bewältigen, indem wir die Entwicklung Afrikas vorantreiben und den Austausch mit Afrika in vieler Hinsicht verstärken. Wir brauchen die Kompetenzen und Fähigkeiten Afrikas. Wir brauchen seine jungen Menschen. Wir brauchen seine Waren. Wir können nicht leugnen, dass es einerseits Menschen und andererseits Waren gibt. Wenn wir Partner sein wollen, müssen wir beides teilen.
Frage: Wie können Sie einer skeptischen afrikanischen Öffentlichkeit den Grünen Deal schmackhaft machen?
Für uns ist der Grüne Deal eine neue Strategie für Wirtschaftswachstum, ein neues Modell zur Schaffung ökologisch tragfähiger Arbeitsplätze. Die Umsetzung wird nicht einfach sein, aber je früher wir damit anfangen, desto niedriger werden die Kosten sein und desto früher werden wir auch die Vorteile spüren. Aber ich muss anerkennen, dass es, wenn Sie in ein Flüchtlingslager in Afrika gehen und dort Hunderttausende Menschen sehen, ziemlich abstrakt und von ihrer Realität weit entfernt ist, ihnen zu sagen, „Seid nicht besorgt! Eure Zukunft wird ökologisch und digital sein.“ Sie werden fragen: „Und was ist mit meiner Gegenwart?“. Und das ist richtig, denn wir müssen die Verbindung herstellen zwischen der Art und Weise, wie wir die Zukunft gestalten, und der Art und Weise, wie wir den Herausforderungen der Gegenwart begegnen. Und wir müssen den Grünen Deal nicht als versteckte Form des Protektionismus präsentieren. Es ist eine Möglichkeit, die Zukunft besser zu gestalten. Die Bekämpfung des Klimawandels ist kein „aufgesetzter“ Luxus der westlichen Welt. Nicht etwas, das wir uns leisten können, und die anderen nicht. Wir müssen Afrika in die nächste Welle der wirtschaftlichen Entwicklung einbinden, und der Grüne Deal ist die nächste Welle der wirtschaftlichen Entwicklung. Und vielleicht kann Afrika aus unseren Fehlern lernen und es anders machen als wir.
Frage: Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an Afrika denken?
Kinder – Kinder und junge Menschen. Die Straßen Afrikas sind voller junger Menschen, voller Kinder. Europa fehlen die Kinder, Afrika hat so viele. Es ist eine junge Gesellschaft, das sieht man an den Zahlen. In Afrika ist der Anteil der Menschen unter 20 Jahren unglaublich hoch. Und das ist ein Vorteil, das ist Wohlstand. Das andere, was mir sofort einfällt, sind die Landschaften – die endlosen, vielfältigen Landschaften. Die Natur spielt noch eine viel größere Rolle in der Geografie Afrikas. Wir haben die Natur domestiziert; dort ist die Natur noch Natur.
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