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Versuchen wir es noch einmal: Europas außenpolitisches Angebot an die USA

07.12.2020
Brussels

Die Welt - Strategische Autonomie ist für Europa essentiell. Dennoch sind die USA für die europäische Sicherheit unverzichtbar. Gerade in der China-Frage wird eine Kooperation entscheidend sein, schreibt der Chefdiplomat der EU. Und macht ein Angebot in Richtung Washington.

Wenn man sich die Alternativen anschaut ist es ganz klar: Kein anderes Paar kann es mit der Partnerschaft EU-USA aufnehmen. Weder Europa noch Amerika werden einen Partner finden, der mehr auf einer gemeinsamen Linie liegt und stärker ist. Nach vier schwierigen Jahren ist es Zeit für einen Neuanfang. Der Sieg von Joe Biden gibt uns die Chance, diesen Neuanfang zu verwirklichen.

Das bedeutet nicht, dass wir immer einer Meinung sein werden oder dass wir identische Interessen haben. Das war vor Donald Trump nicht der Fall und wird auch unter Joe Biden nicht der Fall sein. Aber wir haben eine dauerhafte Partnerschaft, die auf gemeinsamen Werten und jahrzehntelanger Zusammenarbeit beruht. Die vergangenen vier Jahre waren schwierig und es gibt tiefliegende Gründe - demografische, wirtschaftliche und politische -weshalb die historischen Entwicklungen der USA und Europas durchaus unterschiedlich verlaufen. Aber zumindest in den nächsten vier Jahre wird es einen US-Präsidenten geben, der an die Zusammenarbeit mit demokratischen Verbündeten glaubt. Wir wissen das zu schätzen und sind der gleichen Überzeugung. Meine Botschaft ist klar: Europa will das Beste aus dieser Chance machen - und wir kommen nicht nur mit Wünschen und Forderungen, sondern auch mit Angeboten.

Es gibt viel zu reparieren und noch mehr aufzubauen. Sowohl die USA als auch die EU haben mit Polarisierung und gesellschaftlichen Spaltungen zu kämpfen. Wir sehen Autokraten und störende Kräfte, die die regionale Sicherheit und die globale Ordnung untergraben. Eine Pandemie wütet, wir haben eine globale Klimakrise, Instabilität und Konflikte in unserer Nachbarschaft, und einen erbitterten Wettbewerb darüber, wer die Regeln des digitalen Zeitalters schreiben wird.

Unsere Fähigkeit Lösungen zu finden hat nicht mit der Geschwindigkeit und dem Ausmaß des globalen Wandels Schritt gehalten. Zeit ist in der Politik relativ. Wie in der Physik hängt es von der eigenen Geschwindigkeit ab: Wenn sich die Welt schneller verändert als unsere Fähigkeit damit umzugehen, dann geht man relativ gesehen rückwärts. Und das können wir uns nicht leisten.

Der designierte Präsident Biden hat die Schlüsselrolle unterstrichen, die er für eine enge Partnerschaft zwischen den USA und der EU sieht, und Europa hat eigene Vorstellungen für eine ehrgeizige transatlantische Agenda. Diese müssen wir nun umsetzen.  Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission kürzlich „Eine neue transatlantische Agenda für den globalen Wandel“ vorgestellt, mit Vorschlägen zur Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen: COVID-19, Klimawandel, globale Wirtschaftsfragen, Technologie, Handel und Normung, sowie die Stärkung der Demokratie in der Welt.

Ich möchte mich hier auf die Außen- und Sicherheitspolitik konzentrieren und drei Punkte hervorheben.

Erstens: Die Rolle der USA in der europäischen Sicherheit ist unverzichtbar, aber zugleich müssen wir Europäer uns mehr um unsere eigene Sicherheit kümmern. Daher unsere Bemühungen zur Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten und des operativen Engagements - um uns zu einem stärkeren Sicherheitsakteur zu machen, der mehr der "Last" trägt, insbesondere in unserer Nachbarschaft. Bereits nun gibt es 17 europäische Krisenbewältigungsoperationen und -missionen, vom Westbalkan über die Ukraine bis in die Sahelzone, und wir investieren mit verschiedenen Initiativen im Bereich der Verteidigungspolitik um weiterhin Fähigkeiten zu entwickeln, die wir benötigen.

Es ist ein Ablenkungsmanöver, wenn wir - meist in abstrakten Begriffen und Debatten - darüber debattieren, ob wir entweder "europäisch" oder "transatlantisch" sein sollten. Denn das ist die Kehrseite derselben Medaille. Das ist auch der Grund, warum wir unser Streben nach europäischer strategischer Autonomie fortsetzen sollten: Ein strategisch bewusstes und fähiges Europa ist ein besserer Partner und NATO-Verbündeter für die USA und für was die Europäer selbst brauchen.

Lassen Sie uns abstrakte Debatten zu Bett bringen und uns auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn es um die europäische Sicherheit geht, werden wir zusammenarbeiten müssen, um den westlichen Balkan in euro-atlantische Strukturen einzubinden, um die ukrainische Souveränität und die ukrainischen Reformen unterstützen, um eine robuste und konsequente Haltung gegenüber Russland zu entwickeln, und um ein weiteres "Abdriften" der Türkei zu verhindern.

Zweitens wissen wir, dass der Aufstieg und die wachsende Durchsetzungskraft Chinas, und der damit verbundene Wettbewerb mit den USA, die globale Politik weiterhin prägen werden. Einige der Herausforderungen, die China darstellt, sollten wir gemeinsam diskutieren und angehen: von anhaltenden Asymmetrien beim Marktzugang, über legitime Fragen zu 5G, bis hin zu Versuchen, in multilateralen Organisationen auf konkurrierende Standards zu drängen und das kollektive Handeln im Bereich der Menschenrechte zu schwächen. Die EU ist bereit, sich für einen ausgewogenen Ansatz zu engagieren und zum einen mit China zusammenzuarbeiten (zum Beispiel in der Klimapolitik), und zugleich zurück zu drängen wo dies erforderlich ist. Dies wird mit einem aktiven EU-Ansatz für den weiteren Indisch-Pazifischen Raum und der Zusammenarbeit mit demokratischen Partnern in Asien kombiniert werden. Viele gleichgesinnte Partner wünschen sich ein stärkeres Engagement der EU. Wie wir wollen diese Partner eine offene und regel-basiert regionale Ordnung. Das bedeutet, dass Abkoppelung, geschlossene Blöcke und binäre Entscheidungen vermieden werden müssen.

Drittens, müssen wir einen Weg finden, wie sich die USA wieder am Nuklearabkommen mit dem Iran beteiligen, und der Iran sich wieder voll und ganz daran halten kann. Das Nuklearabkommen ist nach wie vor ein Meilenstein erfolgreicher Diplomatie und die EU und die USA sollten nach Wegen suchen, das Abkommen wieder zu stärken, und es auch auszuweiten. Dies könnte in Form eines größeren Abkommens geschehen, bei dem umfangreichere Anforderungen an den Iran mit mehr wirtschaftlichen Anreizen kombiniert werden, und bei dem Fragen auf den Tisch kommen, die legitime regionale Anliegen betreffen - sowohl unsere, als auch die des Iran.

Natürlich gibt es noch viele andere außenpolitische Fragen und Prioritäten, aber konzentrieren wir uns schon einmal auf diese drei, um den Motor der transatlantischen Zusammenarbeit wieder in Gang zu kriegen. Und je weiter wir dann gehen, desto ehrgeiziger können wir werden.


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