2021 – ein Rückblick: Ein Jahr der Veränderungen
„2021 war ein Jahr der Veränderungen. Die geopolitischen Verhältnisse haben sich weiter verändert und die Machtpolitik stellt die EU und ihre Werte immer wieder in Frage.
Die Pandemie dauert länger als wir vor einem Jahr angenommen haben und die Omikron-Variante erfordert erneut erhebliche Beschränkungen und bedroht die Erholung von der Krise. Wir wissen allerdings, dass die Impfungen einen großen Unterschied machen. Dank des Mechanismus für die gemeinsame Beschaffung von Impfdosen hat die Mehrheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger bereits mindestens zwei Dosen erhalten. Seit Dezember 2020 hat die EU außerdem stetig COVID-19-Impfstoff exportiert. Von insgesamt 2 Milliarden produzierten Impfdosen hat die EU über 1,1 Milliarden Dosen in 61 Länder exportiert, im Rahmen von Team Europa wurden mehr als 385 Millionen Dosen abgegeben. Damit hat die EU ihr Ziel für 2021, bis Ende des Jahres 250 Millionen Dosen abzugeben, übertroffen. Ziel von Team Europa ist es, bis Mitte 2022 insgesamt 700 Millionen Impfdosen zu spenden.
„Wir müssen entschiedener gegen die ungleiche Verteilung von Impfdosen und die wachsenden Ungleichgewichte und Ungleichheiten vorgehen.“
Unterschiede in den Impfquoten der Kontinente unterstreichen die Notwendigkeit, Spenden zu beschleunigen und die lokale Produktionskapazität für Impfstoffe – insbesondere in Afrika – zu erhöhen. Während in Europa 60 % der Bevölkerung vollständig geimpft ist (EU: 68 %), liegt die Quote der vollständig Geimpften in Südamerika bei 61 %, in Nord- und Zentralamerika und der Karibik-Region bei 56 %, in Ozeanien bei 57 %, in Asien bei 53 % und in Afrika bei nur 8 %. Zusätzlich zu dieser Ungleichheit im Zusammenhang mit der Impfquote hat die Pandemie dazu geführt, dass die Entwicklungsländer nicht weiter aufholen konnten, was zu einem Anstieg des Hungers und der Armut in der Welt geführt hat. Die Weltbank schätzt, dass aufgrund von COVID rund 150 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gefallen sind. Wir müssen uns stärker dafür einsetzen, diesen Trend umzukehren und entschiedener gegen wachsende Ungleichgewichte und Ungleichheiten vorgehen.
Neben der Bewältigung der Pandemie folgte auf eine Krise gleich die nächste: Belarus, Ukraine, Mali, Sudan, Afghanistan, Äthiopien und Venezuela beherrschten die internationale und die EU-Agenda. Die ständige Krisenbewältigung hat unsere Kapazitäten zur Bewältigung bereichsübergreifender, langfristiger Fragen, die im Mittelpunkt unserer Außenpolitik stehen sollten, wie die Wiederbelebung des Multilateralismus oder die ausgewogene Migrationsbewältigung, die Energie- und Klimakrise oder die Vorschriften für den digitalen Wandel, teilweise geschwächt.
„Die ständige Krisenbewältigung hat unsere Kapazitäten zur Bewältigung bereichsübergreifender, langfristiger Fragen teilweise geschwächt.“
Obwohl 2021 ein Jahr voller Rückschläge und Herausforderungen war, gab es auch positive Entwicklungen. So konnten wir den EU-Mitgliedstaaten beispielsweise den Strategischen Kompass vorstellen. Ziel des Strategischen Kompasses ist es, die Rolle der EU als Garant für Sicherheit zu stärken. Bisher haben die Bürgerinnen und Bürger der EU trotz einer sich schnell verschlechternden Sicherheitslage allzu oft in einer „Blase der Sicherheit“ gelebt. Es ist nicht Ziel der EU, eine Militärmacht im traditionellen Sinne zu sein. Wir müssen aber besser in der Lage sein, uns zu verteidigen. Der Kompass wird voraussichtlich nächsten März angenommen werden und er wird es uns ermöglichen, unsere eigene Sicherheit und Verteidigung ernster zu nehmen.
Ein weiteres Beispiel für positive Entwicklungen ist, wie die EU-Klimadiplomatie auf der COP26 in Glasgow eine führende Rolle bei den Verhandlungen zur Bekämpfung des Klimawandels gespielt hat. Verhandlungen mit 197 Parteien bringen mit sich, dass Kompromisse eingegangen werden müssen – die EU hat ihren Teil dazu beigetragen. Zum Beispiel, indem sie den „Methane Pledge“ beschlossen hat, dem sich 100 Länder angeschlossen haben.
„Der Strategische Kompass wird es uns ermöglichen, unsere eigene Sicherheit und Verteidigung ernster zu nehmen.“
Im Jahr 2021 wurden unter Präsident Biden auch die Beziehungen zwischen der EU und den USA wiederbelebt. Durch die neue, von der US-Regierung eingeschlagene Richtung konnten zum Beispiel beim Klimawandel, bei den Nuklearverhandlungen mit Iran und bei der Unternehmensbesteuerung Fortschritte erzielt werden. Während die Art und Weise des Truppenabzugs aus Afghanistan zwar unglücklich verlief und die Entscheidung von AUKUS bedauerlich war, gab es Ende des Jahres hochrangige Dialoge zwischen der EU und den USA über China und den indopazifischen Raum. Außerdem wurde vereinbart, einen speziellen Dialog über Sicherheit und Verteidigung zwischen der EU und den USA aufzunehmen.
2021 haben wir unsere Zusammenarbeit mit Lateinamerika intensiviert, unter anderem mit dem ersten hochrangigen Besuch in Brasilien nach neun Jahren und der Einweihung des EllaLink-Glasfaserunterwasserkabels zwischen der EU und Brasilien. Das Treffen der Führungsspitzen aus der EU, Lateinamerika und der Karibik-Region von Anfang Dezember sollte außerdem in den kommenden Monaten neue Entwicklungen anstoßen.
Wir haben innerhalb der EU gegenüber China Einheit bewahrt und anerkannt, dass die EU China gleichzeitig als Partner, Konkurrenten und Systemrivalen sieht. 2021 haben die Verschlechterung der Menschenrechtslage in China, Chinas Auftreten in der Region sowie die Sanktionierung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments und von anderen Organen der EU und zuletzt die gegenüber Litauen ausgeübte Nötigung ihren Tribut gefordert.
Insgesamt lag unser Fokus darauf, unsere Beziehungen zum indopazifischen Raum zu diversifizieren. Unsere neue Strategie für den indopazifischen Raum (externer Link) fördert das Engagement der EU in der Region, um nicht nur Handel und Investitionen anzukurbeln, sondern auch in Sicherheitsfragen wie bei Fragen der maritimen Sicherheit oder Cybersicherheit enger zusammenzuarbeiten. Mein Besuch in Jakarta im Juni hat unser Engagement mit dem ASEAN gefestigt. Auch unsere Beziehungen mit Zentralasien haben sich intensiviert und wir haben damit begonnen, unsere Zusammenarbeit mit den Golfstaaten zu verbessern.
In Afrika war das vergangene Jahr leider von vielen Konflikten und der Verschlechterung der Lage in der Sahelzone geprägt. Insbesondere der Bürgerkrieg in Äthiopien nahm dramatische Dimensionen an. Wir bereiten derzeit den im Februar stattfindenden AU-EU-Gipfel vor, auf dem wir als EU unsere Versprechen einlösen müssen, insbesondere in Bezug auf Impfstoffe und Klimaschutzfinanzierung.
Die Situation in Libyen schein sich stabilisiert zu haben. Die Wahlen wurden erneut vertagt und die angespannten Beziehungen zur Türkei im Ostmittelmeer schienen sich dieses Jahr etwas aufzulockern. Im Rahmen des Regionalforums der Union für den Mittelmeerraum und des Ministertreffens EU-Südliche Nachbarschaft, die Ende November in Barcelona abgehalten wurden, wurde daran erinnert, dass die wachsende Kluft zwischen beiden Seiten des Mittelmeers dringend geschlossen werden muss und neue Möglichkeiten wie zum Beispiel im Zusammenhang mit dem ökologischen Wandel genutzt werden müssen.
„2021 haben wir uns dafür eingesetzt, die Interessen und Werte der EU zu verteidigen und in diesem Jahr der Veränderungen eine regelbasierte Weltordnung zu stärken.“
In unserer östlichen Nachbarschaft war das Jahr 2021 von Machtpolitik gekennzeichnet, wie wir in den Fällen der Ukraine, Belarus und Moldau gesehen haben. Um diesen Bedrohungen zu begegnen, hat die EU ihren Partnern entschlossen und einheitlich sowohl politische als auch operative Unterstützung geleistet – unter anderem durch die fünfte Runde von Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime in Belarus. Da hybride Konflikte stark zunehmen, müssen wir die Ukraine bzw. Moldau weiterhin dabei unterstützen, dem Druck Russlands standzuhalten und eine unnachgiebige Haltung gegenüber Belarus beizubehalten. In diesem Zusammenhang wurde auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft der strategische, ehrgeizige und zukunftsorientierte Ansatz der EU mit unseren osteuropäischen Partnern bekräftigt. Die Zunahme spaltender Rhetorik und Maßnahmen in der Westbalkanregion, insbesondere in Bosnien-Herzegowina, hat auch die Bemühungen um eine Annäherung der sechs Länder an ihre europäische Zukunft behindert.
Dieser kurze Überblick über das vergangene Jahr ist nicht erschöpfend. Es sollten lediglich einige der wichtigsten Themen in Erinnerung gerufen werden. 2021 haben wir uns dafür eingesetzt, die Interessen und Werte der EU zu verteidigen und in diesem Jahr der Veränderungen eine regelbasierte Weltordnung zu stärken. Im Jahr 2022 müssen wir in aller Entschiedenheit weiter dafür arbeiten.